Rund zwei Monate war Schiffskater Rotbart nun bereits auf See, Zeit, einmal eine kleine (unkorrigierte und unlektorierte) Leseprobe aus dem neuen Buch Schiffbruch vor Sumatra zu veröffentlichen. Zunächst eine Notiz des Kapitänsstewards zu den Ereignissen.
Nach dem Sturm hatte die Zeeland die Texel aus dem verlorengegangenen Konvoi wiedergetroffen. In einer Bucht der Kapverdischen Insel St. Anthoni waren die beiden Schiffe vor Anker gegangen und der Kapitän der Zeeland, der Oberkaufmann, Carl Carlszoon sowie Seetiger und Rotbart statteten der Texel einen Besuch ab. Über das, was dort geschah, gibt die folgende Leseprobe Auskunft:
„. . . Katerhaft unterdrückte Rotbart das aufkommende Gefühl von Heimweh und folgte den beiden Schiffskatzenchefs auf das hintere Zwischendeck, ganz nach achtern, wo die offenen Stückpforten eine gute Sicht über die Bucht erlaubten. „Schön, dass ihr kommen konntet“, schnurrte Graubart vergnügt und schnippte lässig mit dem Schwanz in Richtung der versammelten zehnköpfigen Schiffskatzencrew, „Le Roi hat da schon mal etwas vorbereitet.“
Seetiger schritt majestätisch die Front der Katzschaft ab und begrüßte jeden mit einem würdevollen Kopfstoß. Rotbart tat es seinem Mentor nach, so gut es ging. Das mit der Würde und Gelassenheit hatte er allerdings noch nicht so ganz drauf und je nach Temperament des Gegenüber sah so manche Begrüßung aus, als würden zwei Ziegenböcke ihre Kräfte messen.
„Nun ja“, meinte Seetiger und blinzelte Graubart an, „er hat noch einiges über Umgangsformen an Bord zu lernen.“
„Möchten die Herrschaften vielleicht mit einem Stück Fisch oder lieber kaltem Braten beginnen? Ich hätte da aber auch noch etwas Pastete, für die, die nicht mehr so richtig zubeißen können.“
Freundlich und einladend blickte der weiße Kater mit den schwarzen Flecken den alten Seetiger an. Der starrte zurück: „Ich kann durchaus noch zubeißen, junger Spund“, knurrte er scheinbar pikiert und verkniff sich nur mit Mühe ein Grinsen.
Graubart beschwichtigte: „Das weiß er und das sollte ganz sicher keine Anspielung sein. Le Roi hat wohl einfach mal wieder nicht nachgedacht, ist total aufgeregt. Als er gehört hat, dass uns der legendäre Seetiger und sein Schüler besucht, hat er für die Beschaffung des Festmahls beinahe sein Leben riskiert. Ist halt auch so ein Jungspund wie Rotbart und ist auch seine erste Reise . . .“.
Erst jetzt merkte er, dass sich Seetiger köstlich amüsierte. „. . . gut, gut, dann also ran an den Speck, Leute!“
„Speck habe ich leider nicht bekommen können“ maunzte Le Roi und tat kleinlaut.
„Waaas, kein Speck?“ Ein schwarzer Kater mit weißem Latz und Pfoten brummte den Kombüsenkater an und verschwand in einer dunklen Ecke. „Muss man sich hier denn um alles selbst kümmern?“
Kurze Zeit später tauchte er mit einem Stück Speck im Schlepptau wieder auf. „Hab ich mir zur Feier des Tages vom Steward erschleimt“, verkündete er stolz, „klar, dass da für dich nichts mehr drin war le Roi“, beruhigte er seinen Kumpel.
„Typisch Großtatze“, grinste Seetiger, „du kannst es einfach nicht lassen, die Neuen zu ärgern.“
So neu war Roi de Merguéz, der „Wurstkönig“ aus der Landgrafschaft Hessen-Kassel gar nicht. Immerhin hatte er schon ein Jahr Flussschifffahrt hinter sich bevor er in Bremen auf einem Holländischen Küstensegler anheuerte und schließlich ab November 1653 die Texelcrew durch seine besonderen Fähigkeiten bereicherte. Durch eine besondere Abenteuerlust – zumindest im maritimen Sinne – zeichnete sich der gemütliche Kuhkater nicht gerade aus. Wohl aber verfügte er über ein ausgeprägtes kulinarisches Organisationstalent, das er immer wieder – so auch heute – unter Beweis zu stellen verstand. Nun ist nahezu jede Katze fähig, aus irgendwelchen Speisekammern oder Küchen, von unbeobachteten gedeckten Tischen oder Lagerräumen, Leckerbissen zu klauen. Das Besondere an le Roi war jedoch, dass er ganz offiziell in den Kombüsen und Pantrys der Schiffe wohnte, von den Menschen jedoch zeitlebens nie des Diebstahls verdächtigt wurde. Und das sollte auch diesmal so sein.
Während sich die Katzen schmatzend das Festmenü schmecken ließen, nahmen sie die Stimmen und das Poltern über sich kaum wahr. Sie wussten, auch über ihnen im Salon des Kapitäns wurden die Gäste bewirtet. Nur le Roi wusste, dass es dort oben nicht ganz so unbeschwert zugehen würde wie hier. Als nämlich der Steward die kaum eine halbe Stunde zuvor sorgfältig angerichteten und dekorierten Speisen aus der Pantry – der Kombüse des Achterdecks – auftragen wollte, stand er vor einem Desaster. Die Platte mit dem kalten Fleisch war zerwühlt und die besten Stücke fehlten. Von der gekochten Makrele waren nur noch Schwanz und Kopf übrig und die Form der Kalbspastete glich der Landschaft der Vulkaninsel vor der die Schiffe Anker geworfen hatten. Le Rois feine Ohren konnten den unterdrückten Aufschrei und das Klappern und Scheppern hören, als der Steward aus den Resten und gewissen Reserven versuchte, so schnell wie möglich etwas Servierbares für die hohen Herrschaften zu produzieren.
„Mannmannmann, wie du das immer wieder schaffst, solche Leckerbissen zu organisieren“, schwärmte der rabenschwarze Blackcastle, der mit einem venezianischen Kaufmann nach Amsterdam gelangt war um auf der Texel anzuheuern. Und selbst Graubart und Seetiger kamen nicht umhin, dem Lob zuzustimmen. . . .“